SEXUALBERATUNG

Die sexuelle Energie als wesentlicher Bestandteil der menschlichen Triebenergie wurde nicht zuletzt in Freuds Abhandlungen eingehend dargestellt. Sie spielt nicht nur in der Sexualität im engeren Sinne eine wichtige Rolle, sondern auch als grundsätzliche Energie des Lebens. Da eine befriedigende Sexualität auch ein Ausdruck eines gelungenen Lebens ist, laufen wir in einer Zeit, in der nicht nur wir unser Eigenes entdecken und darstellen, Gefahr, uns zumindest tendenziell an „Normalitäten“ (Sexualität – z. B. Häufigkeit, Vorlieben, Praktiken, Heterosexualität etc.) zu orientieren, was in einer Kultur der Leistung nicht gerade Lust und Spontanität fördert.

Wir alle sind in unserer Sexualität wesentlich durch unsere Entwicklung im Vorschulalter und durch die Pubertät geprägt. Je nachdem, wie gut es uns gelungen ist, ein Körper-Ich zu entwickeln und mit anderen psychischen Funktionsparametern zu verknüpfen (u. a. Regelung von Nähe – Distanz, Autonomie – Abhängigkeit, Selbstwert – Selbstbild), kann eine mehr oder weniger günstige Gestaltung von Beziehung und Partnerschaft und der damit verbundenen Sexualität daraus resultieren.

Aus neueren Studien lässt sich die hohe Verbreitung sexueller Störungen ablesen und die Schlussfolgerung ziehen, dass insbesondere die sexuellen Funktionsstörungen zu den häufigsten Krankheitsbildern/Symptomkomplexen unserer Zeit zählen. Durch die altersdemographischen Veränderungen und die Zunahme chronischer Erkrankungen werden auch die sekundären Funktionsstörungen zunehmen. In den Bereich der Sexualmedizin fallen weiters die Geschlechtsidentitätsstörungen und die sexuellen Verhaltensabweichungen, wobei gerade in diesen beiden Bereichen einerseits der Leidensdruck des Betroffenen bzw. seines Gegenübers, andererseits die Frage in Bezug auf innere autonome Entscheidungen eine wesentliche Bedeutung haben.
Innere autonome Entscheidungen sind vor allem dann möglich, wenn wesentliche neurotische Konflikte geklärt und im Sinne von Freud´s Modell Ich-ÜberIch-Es ein Ich-stimmiges Handeln stattfinden kann. Hier kann im psychoanalytischen Sinne ein wesentlicher therapeutischer Ansatz für den Betroffenen sein, zu seinen Ich-stimmigen Handlungen stehen zu können (z. B. Coming out). Die große Herausforderung dieses Fachbereiches entsteht auch dadurch, dass die Sexualität in der Medizin oft die verschiedensten Fachbereiche übergreifend mit einbezieht. So braucht es bereits in der Abklärung einen weiten, fächerübergreifenden Ansatz sowie eine Betrachtung, die deren Multidimensionalität und Multifunktionalität einschließt. In einem biopsychosozialen Kontext gilt es in der sexualtherapeutischen Sprechstunde, diese verschiedenen Dimensionen darzustellen und nach der individuellen Bedeutung zu klären.